Die Aufgaben der Betriebsdurchführung übernehmen bei der Eisenbahn die Fahrdienstleiter – sie verantworten das Stellen von Weichen und Signalen. Mit der Ablösung alter Stellwerkstechnologien durch elektronische und zukünftig IP-basierte digitale Stellwerke kommt es zu einer stufenweisen Konzentration und Automatisierung der Betriebssteuerung. Die Zahl der heute etwa 14.400 Fahrdienstleiter und Weichenwärter wird sich so im Zielzustand deutlich reduzieren. Gleichzeitig ändert sich das Berufsbild der Fahrdienstleiter mit der Ablösung alter Stellwerkstechnologien von einer aktiven Steuerungsfunktion hin zu einer Überwachungsfunktion mit Steuerungsaufgaben im Abweichungsfall. Damit gehen zahlreiche Herausforderungen bezüglich der strategischen Aufstellung der Betriebssteuerung einher.
Das Projekt Betriebssteuerungsstrategie (BSS) hat auf Basis der bisherigen Erfahrungen sowie aktueller technologischer und sozialer Entwicklungen den Zielzustand der Betriebssteuerung bei der DB Netz AG hinterfragt und weiterentwickelt. Im Fokus stand dabei die Betriebsdurchführung für die etwa 24.000 Streckenkilometer des Fern- und Ballungsnetzes (FuB). Die bisherige Strategie „Blaues Netz“ sieht für das Kernnetz eine Konzentration der Betriebssteuerung auf sieben BZ vor. Das Kernnetz entspricht etwa den zugdisponierten Strecken (16.000 Streckenkilometer des FuB).
Der Bau der Betriebszentralen (BZ) hat die Betriebssteuerung revolutioniert. Mit dem Konzept sollten viele positive Ideen und logische Verbesserungen auf einmal umsetzbar werden. Fahrdienstleiter arbeiten dort in Teams mit betrieblichen/geografischen Zuständigkeitsbereichen. Durch die Steuerbezirkstechnik gibt es in diesen Teams eine hohe Bedienflexibilisierung – das ermöglicht Schwachlastenausgleich und flexiblere Dienstplangestaltung. Auch die direkte Anwesenheit der betrieblichen Führungskräfte am Arbeitsort hat sich bei den BZ bewährt. Gleichzeitig sind nicht alle Erwartungen eingetroffen. Insbesondere die erwarteten Verbesserungen der Betriebsqualität durch räumliche Nähe der Fahrdienstleiter zur Disposition haben sich in der Realität nicht bestätigt (siehe Infobox). Schnittstellen zu DB Station&Service wurden nicht wie geplant umgesetzt und die Eisenbahnverkehrsunternehmen ziehen nach und nach wieder aus den BZ-Gebäuden aus.
Mit dem Aufkommen der elektronischen Stellwerke (ESTW) in den 1990er Jahren wurden mögliche Nachteile einer starken Konzentration vorerst ausgeklammert. Bezüglich des Rückzugs aus der Fläche wurden damals auch die nachhaltigen Konzepte für das Notfallmanagement diskutiert, aber nicht in die Planung einbezogen. Bedenken bezüglich weiter Anfahrwege der Mitarbeiter wurden in den Anfangsjahren mit dem großen Personalüberhang in den kommenden Jahren relativiert. Mit fortschreitender Zentralisierung würden außerdem schon bald kritische Verkehrsmengen aus den Betriebszentralen gesteuert, was zu erhöhten Sicherheitsausgaben führt. Darüber hinaus passen bei Weitem nicht alle erforderlichen Bedienplätze zur Bedienung des Kernnetzes in die aktuellen BZ-Gebäude.
Umdenken und heutige Möglichkeiten nutzen
Seit der Einführung der ersten ESTW haben sich auch die technischen Rahmenbedingungen weiterentwickelt. Mit den Projekten Neuausrichtung Produktionssteuerung (NeuPro) und European Train Control System (ETCS) werden zukünftig digitale Stellwerke auf Basis moderner Kommunikationstechnik (DSTW) realisiert. Getrieben durch den hohen Instandhaltungsaufwand unterschiedlicher Technologien soll der DSTW-Roll-Out modular und flächig stattfinden. Eine Aufteilung verkehrlich/betrieblich zusammenhängender Strecken nach disponiert/nicht disponiert auf verschiedene Bedienstandorte wirkt dann wie ein Relikt aus alten Zeiten. Darüber hinaus bietet der flächige Roll-Out der DSTW neue Möglichkeiten für die BSS: Je Instandhaltungsbezirk entsteht ein Technikstandort.
Damit werden in den nächsten Jahrzehnten zahlreiche Gebäude geplant und gebaut, die problemlos ein oder mehrere Bedien- ebenen aufnehmen können. Diese Synergiepotenziale erfordern eine gute Verzahnung der Betriebssteuerungsstrategie-Migration mit den Stellwerksprojekten und stellen eine große Chance für eine Neuaufstellung dar.
Gleichzeitig werden schon sehr bald integrierte Bediensysteme (iBS) für die Betriebssteuerung zur Verfügung stehen. Bisher war ein Bedienplatz starr an ein Bediensystem (Steuerbezirk) und das wiederum starr an ein oder mehrere ESTW(Unterzentralen) ang schlossen. Integrierte Bedienbarkeit von Stellwerken bedeutet, dass alle Weichen und Signale flexibel von jedem Bedienplatz aus bedient werden können. Technik und Betriebssteuerung werden dadurch unabhängig. Das hat sowohl Einfluss auf langfristige Verlagerungen von Bedienplätzen an einen neuen Standort als auch bei kurzfristigen Ausfällen und Katastrophen- fällen. Beides ermöglicht und erfordert ein Umdenken bei der Betriebssteuerungsstrategie.
Weiterentwicklung der Betriebssteuerungsstrategie
Die neue Betriebssteuerungsstrategie (BSS) ist eine Weiterentwicklung der bisherigen Strategie unter Berücksichtigung der heutigen Rahmenbedingungen und Erfahrungen. Ansatzpunkt ist der bisher ausgeklammerte Bereich des Netzes. Während für das Kernnetz eine maximale Konzentration zu „Mega-Standorten“ mit bis zu 700 Fahrdienstleitern je Standort im Zielzustand vorgesehen war, gab es für das restliche FuB keine konkrete Zielvorstellung. Dies sind immerhin 8.000 Streckenkilometer und somit ein Drittel des gesamten Streckennetzes. Im restlichen FuB war ebenfalls eine Konzentration zu erwarten: Durch den flächigen Roll-Out der DSTW-Technik ist für die Bedienung nicht zugeordneter Strecken von einem Bedienstandort je betroffenem Instandhaltungsbezirk auszugehen. Im Zielzustand ergeben sich daraus neben den 7 „Mega-Standorten“ etwa 90 bis 100 sehr kleine Standorte. Diese „Kleinststandorte“ führen zu zusätzlichen Standortfixkosten und verringern die Möglichkeiten bezüglich Mitarbeitereinsatz und -führung.
Es wird deutlich, dass sowohl sehr große als auch sehr kleine Steuerzentralen nachteilig sind. Die weiterentwickelte BSS baut auf dieser Erkenntnis auf: Gemeinsam mit diversen Fachexperten wurde eine Steuerzentrale mit 6 bis 20 Bedienplätzen als ideale Größe bestimmt. Sowohl qualitativ als auch quantitativ beschreibt diese Spanne den optimalen Bereich. Es ist nicht erforderlich, homogene Standorte einer bestimmten Größe zu erzwingen. Verkehrliche und betriebliche Zusammenhänge sind zum Beispiel in Neustrelitz ganz anders als in Frankfurt am Main. Viel wichtiger ist ein einheitliches Konstruktionsprinzip, dass zu gut steuerbaren Bedienbezirken rund um Knotenpunkte im Netz führt. Die Größe eines Bedienbezirks liegt bei drei bis sechs Bedienplätzen. Das vereinfacht die Personalsteuerung unter der Berücksichtigung von Mehrfacheinweisungen. Eine Steuerzentrale setzt sich schließlich aus einem oder mehreren Bedienbezirken zusammen.
Schnittstelle zur Disposition
Räumliche Nähe von Fahrdienstleitern und Zugdisponenten in den BZ sollte die Zusammenarbeit zwischen den Funktionen verbessern und damit die Betriebsqualität erhöhen. Allerdings führt diese räumliche Nähe gleichzeitig zu einer räumlichen Trennung der Zugdisponenten von den anderen Zugdisponenten sowie den Bereichsdisponenten.
Die Idee wurde vor dem Hintergrund einer möglichen Verschmelzung von Fahrdienstleiter und Zugdisponent zu einer neuen Funktion „Zuglenker“ stark vorangetrieben. Diese neue Funktion wurde zwar technisch erfüllt, aber die grundsätzliche Zielsetzung konnte nicht erreicht werden. In der Abwägung ist kein positiver Effekt des BZ-Gedankens nachweisbar. Im Laufe der Zeit haben sich deshalb verschiedene Standpunkte unter den Verantwortlichen entwickelt. Folglich wurde die räumliche Nähe der beiden Funktionen nicht mehr konsequent umgesetzt.
Eine neue Zielkarte
Aus dem Konstruktionsprinzip und einem Set an Standortkriterien wurde mit allen Beteiligten eine Zielkarte mit 97 Steuerzentralen mit 6 bis 20 Bedienplätzenerarbeitet. Diese Weiterentwicklung gegen- über sieben „Mega-Standorten“ und etwa 95 „Kleinststandorten“ löst die bisherigen Herausforderungen und nutzt heutige technologische Möglichkeiten. Für neue Stellwerksprojekte im FuB werden Steuerzentralen idealerweise gemeinsam mit den Technikstandorten gebaut und dann sukzessive durch Verlagerung bereits zentralisierter Bedienplätze aufgefüllt. Insgesamt bleibt die Anzahl zu bauender Standorte dabei etwa gleich groß. Darüber hinaus werden zehn Standorte gemeinsam mit den Regionalnetzen gebaut und damit weitere Synergieeffekte genutzt.
Die Zielkarte wurde im März dieses Jahres vom Vorstand der DB Netz AG beschlossen und der Gesamtbetriebsrat der DB Netz AG im Mai beteiligt. Damit sind die Weichen für die Zukunft der Betriebssteuerung gestellt.
Abkürzungen
BPL:Bedienplatz|BSS:Betriebssteuerungsstrategie|BZ:Betriebszentral| DSTW: Digitale Stellwerke | ESTW: Elektronische Stellwerke | ETCS: European Traffic Control System | FuB: Fern- und Ballungsnetz | iBS: Integriertes Bediensystem | MA: Mitarbeiter | SZ: Steuerzentrale
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