„Die Verkehrswende kommt von unten und wird die Bundespolitik bald erreichen“
Alle reden über die Bahn. Daran wird sich auch in diesem Jahr nichts ändern. Verkehrspolitik hat Themenkonjunktur. Neben Dieselfahrverboten steht jetzt auch die Deutsche Bahn AG im Fokus der Medien. Hinter den Kulissen geht es aber um viel mehr als um den Marktführer im Staatseigentum, seine Konzernstruktur und Verspätungsminuten. 25 Jahre nach der Bahnreform wird um die Zukunft des Verkehrsträgers Schiene gerungen.
Das Bundesverkehrsministerium hat zwei Kommissionen eingesetzt, in denen Ministeriums- und Branchenvertreter gemeinsam den Bahnverkehr auf Vordermann bringen wollen: das „Zukunftsbündnis Schiene“ und den zum Masterplan Schienengüterverkehr gehörenden „Runden Tisch“. Parallel dazu tagt die per Kabinettsbeschluss eingesetzte „Nationale Plattform Zukunft der Mobilität“.
Was bedeuten diese Kommissionen für den Schienenverkehr in Deutschland und wohin geht die Reise? Eine Kurz-Orientierung anhand von fünf Thesen.
These 1
In den Medien läuft eine Bahnreform 2.0-Diskussion, hinter den Kulissen eine Nachhaltige Verkehrspolitik 1.0-Diskussion
Eine pünktliche und zuverlässige „Bürgerbahn“ fordert der Bundesverkehrsminister in den Medien, die Opposition verlangt grundlegende Reformen der Unternehmensstruktur bei der DB AG, und für den Staatskonzern vergeht kaum ein Tag ohne massive Journalisten-Schelte wegen vermeintlicher oder tatsächlicher Missstände. Die Diskussion um eine Bahnreform 2.0 hat im Jubiläumsjahr Fahrt aufgenommen.
Über strukturelle Änderungen zu sprechen, ist wichtig und richtig. Noch wichtiger ist jedoch eine Politik, die den verkehrspolitischen Reformstau in der Republik auflöst und endlich die Verkehrswende einläutet. Der Dreiklang einer nachhaltigen Verkehrspolitik „vermeiden, verlagern, verbessern“ führt in der Großen Koalition nach wie vor ein Schattendasein. Dieser gesamthafte, Verkehrsträger übergreifende Ansatz findet sich nicht in der Koalitionsvereinbarung wieder und spielt auch keine nennenswerte Rolle im „Zukunftsbündnis Schiene“ oder beim „Runden Tisch Schienengüterverkehr“, der auf Leitungsebene die Umsetzung des „Masterplans Schienengüterverkehr“ steuert. In beiden Kommissionen geht es primär um die Stärkung des Schienenverkehrs, nicht jedoch um Verkehrsvermeidung und lediglich ansatzweise um Verkehrsverlagerung.
In der Arbeitsgruppe 1 „Klimaschutz und Verkehr“ der „Nationalen Plattform Zukunft der Mobilität“ wird diese Diskussion geführt. Wer tatsächlich den CO2-Ausstoß des Verkehrs in Deutschland massiv reduzieren will, kommt um eine Auseinandersetzung mit dem Dreiklang „vermeiden, verlagern, verbessern“ nicht herum. Hier werden in diesem Jahr die Weichen dafür gestellt, ob Deutschland den Einstieg in die Nachhaltige Verkehrspolitik 1.0 schafft.
These 2
Der Ausgang beider Diskussionen ist noch ungewiss
Eine grundlegende Neuausrichtung der Verkehrspolitik ist überfällig, aber noch nicht eingeleitet. Die organisierten Verteidiger des verkehrspolitischen Status quo sind nach wie vor mächtig. Der Druck ist allerdings hoch. Das für dieses Jahr angekündigte Klimaschutzgesetz wird den Verkehrssektor zur Kurskorrektur zwingen. Mehr Mobilität mit weniger und möglichst emissionsfreiem Verkehr lautet das Motto, das so manche Zumutung für Veränderungsunwillige mit sich bringen wird.
These 3
Gestaltungswille in Politik und Branche hat eine neue Qualitätsstufe erreicht
Vor dem Hintergrund steigender CO2-Emissionen im Verkehrssektor ist die Bereitschaft in Politik und Wirtschaft deutlich gewachsen, nach jahrzehntelangen Lippenbekenntnissen zur Stärkung des Bahnverkehrs nun tatsächlich mehr Verkehr auf die Schiene zu bringen. Die Allianz pro Schiene hat zusammen mit anderen Bahnverbänden der Bundesregierung diesbezüglich eine „neue Ernsthaftigkeit“ attestiert. Diese „neue Ernsthaftigkeit“ ist auch in der Branche selbst zu spüren. Spätestens seit der gemeinsamen Erarbeitung des Masterplans Schienengüterverkehr zusammen mit dem Ministerium wird nicht mehr abstrakt nach mehr Unterstützung gerufen, sondern konkret an Verbesserungen im Sektor gearbeitet.
These 4
Bahnverbände kooperieren heute stärker als früher
Die Bahnverbände sind in diesem Prozess Treiber und Getriebene zugleich. Ohne die vor der Bundestagswahl erfolgte Verständigung auf gemeinsame politische Kernforderungen, wäre die Koalitionsvereinbarung nicht so bahnfreundlich wie sie ist. Der zunehmende Leidensdruck im Sektor, die DB-Chef Richard Lutz freundlich „Wachstumsschmerzen“ nennt, zwingen die Verbände aber auch, enger zusammenzurücken.
These 5
Der Wandel hat bereits begonnen
Der Allianz pro Schiene kommt bei der Gestaltung des Wandels hin zu einem neuen Mobilitätszeitalter eine zentrale Rolle zu. Die wesentlichen Akteure des Sektors sind in unserem Verkehrsbündnis organisiert und wir sind nah dran an der Bundespolitik. Wer mitten drin ist, läuft Gefahr, vor lauter Tagesgeschäft die Geschwindigkeit zu unterschätzen. Dennoch: Der Wandel hat bereits begonnen. Noch nicht so sehr auf der bundespolitischen Ebene, aber in den Metropolen und Ballungsräumen. Die Verkehrswende kommt von unten, und sie wird bald die Bundespolitik erreichen.
Der Autor ist Mitglied des „Runden Tisches Schienengüterkehr“, des Lenkungskreises „Zukunftsbündnis Schiene“ und vertritt die Allianz pro Schiene in der „Nationalen Plattform Zukunft der Mobilität“.
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